Na, fit im Schritt?

„HERZLICH WILLKOMMEN IM RÜCKBILDUNGSKURS!!!“ Die grelle Stimme reißt mich aus meinem Tagtraum. „LASST UNS BEGINNEN!!!“
Es ist Donnerstag Abend um viertel nach sieben. Eigentlich gehe ich um diese Uhrzeit in den Standby-Modus auf der Couch über. Mir gegenüber stehen zehn frisch gebackene Müttis in Sporthosen. Die junge Hebamme, unsere Kursleitung, setzt ein zähnebleckendes Lächeln auf. Sie zaubert ein Blatt hervor, auf dem in einer farbigen Handzeichnung die verschiedenen Schichten der vaginalen Beckenbodenmuskulatur dargestellt sind. „UNSER ZIEL FÜR DIE NÄCHSTEN WOCHEN: FIT IM SCHRITT!!!“ Sie stellt sich breitbeinig auf ihre Matte und stützt die Arme ein. „Wir beginnen mit DER FAHRSTUHL-ÜBUNG!“
Nun summt sie: „Wir stellen uns voooor… unser Beckenboden fährt Fahrstuhllll…“ Verständnislos blicke ich in konzentrierte Gesichter. „…wir spannen ihn annnn…“ Vernehmliches Luft-Anhalten. Man, ich bin echt zu müde für sowas.“…und kommen in den ersten Stooooock…“ Ich beginne zu fürchten, mein Beckenboden wurde im Untergeschoss vergessen. Während die andren in den zweiten Stock fahren, klinke ich mich mental aus.

Am Vortag bin ich mit Lotte wieder spazieren gewesen. Sie schnaufte schwer, während wir die Kinderwägen den Berg hochstemmen. „Weißt du, ich war so stolz auf meinen flachen Bauch vor der Geburt. Und jetzt ist da nur Schwabbel!“ Sie blieb kurz stehen und schnappte nach Luft. „Ich habe wirklich Angst, dass mir meine Hosen nie wieder passen werden!“

„Wir halten den Beckenboden im ZWEITEN STOOOOCK!“

Ich wartete am Eingang zu unserer Wohnung auf sie und wir verabschiedeten uns. Während ich Minidame in die Wohnung trug, fluchte ich, weil mir das Kreuz vom vielen Heben wehtat.

„Und der Beckenboden fährt in den DRITTEN STOOOOCK!“ Die Frau mir gegenüber bekommt eine rote Birne.

Am Abend stand ich oberkörperfrei vor dem Spiegel und betrachtete die Speckröllchen an meinem Bauch. Zugegebenermaßen waren sie vergleichsweise klein. Aber Lotte hatte recht: Unsere Körper zeigten noch immer die Spuren der Geburt.

„UND WIR HALTEN DIE MUSKELN IMMER WEITERRRR…“Absolute Bewegungslosigkeit im Raum.

Ich erinnere mich, dass ich überlegte, wie ich am besten wieder zu meiner vorgeburtlichen Fitness zurückkommen würde.

„UND WIR HALTENNNN…“ Vernehmliches Schnaufen im Raum.

Ich stelle mir die Frage: Ist die Rückkehr zur physischen Ausgangslage womöglich der erste Schritt zurück zu einer ausgeglichenen Gemütslage?

„…UUUUND lockerlassen.“
Also gut, Missy. I’m on board. Let’s get me back to fit im Schritt.

 

Die Hebamme erklärt nun mit leichter Schamesröte im Gesicht, welche Beckenbodenschichten für welche körperlichen Fehlfunktionen zuständig sein könnten: Inkontinenz, Hämorrhiden, Libidoverlust. Selbst hat sie noch keine Kinder. Aber wir sind hier ja nicht zum Tratschen! Erneutes breitbeiniges Aufstellen. Ich bin hochmotiviert, die nächste Übung mitzumachen. Nicht dass irgendemand von außen sehen könnte, ob meine Beckenbodenmuskeln tatsächlich trainiert werden. Wir legen also los: „Als nächstes kommt die Känguruh-Übung.“ Alles klar, Känguruh, das kenne ich. „Stellt euch nun vor, ihr hättet einen langen Känguruh-Schwanz an eurem Po hängen.“ Wertfrei bleiben, Anja, wertfrei. „Dieser Känguruh-Schwanz schwingt jetzt von links nach rechts… und wieder zurück. Und nochmal: Links – rechts – links – rechts…“ Im Raum herrscht weiterhin absolute Bewegungslosigkeit. „Prima!“ Ja, finde ich auch. „Weiter geht es! Ihr habt heute alle was zu Mittag gegessen, oder?“ Zögerliches Nicken. „Prima! Vor unseren Beckenboden befinden sich nun große, runde Früchte.“ Ich stelle mir einen saftigen, roten Apfel vor. Einen, der schön knackt, wenn man reinbeißt. „Und jetzt beißen wir herzhaft ein großes Stück davon ab. Mit unserer Beckenbodenmuskulatur!“ Ein kleines Kichern macht sich in meinem Magen breit. Denkt denn niemand…? Nein…? Absolute Konzentration im Raum. Also gut. Ich gebe mein bestes und beiße mit meinen Beckenbodenmuskeln ein großes Stück von dem Apfel ab. „Und jetzt kauen wir genüsslich auf dem Fruchtstück herum!“ …irgendjemand? Weiter Stille und Bewegungslosigkeit. Wahrscheinlich hört dieser Frau einfach keiner zu! „Und wir kauen…und kauen…“ Ich spitze die Ohren ob ich nicht doch irgendwo etwas schmatzen höre. Ich muss kichern. Minuten verstreichen. „So und nun: Schlucken wir den genüsslich gekauten Fruchtbrei hinunter. Oder besser gesagt: Hinauf!“ In diesem Moment verschluckt sich mein Beckenboden gehörig und ich pruste los vor lachen. Ist das ihr Ernst? So sieht also Gymnastik für die Mutter von heute aus?

Während sich die anderen noch abschließend selbst mit dem Applaus ihrer Schamlippen belohnen, fahre ich mit dem Fahrstuhl wieder in’s Erdgeschoss und düse dann nach Hause. Dort verputze ich noch einen Apfel – einen echten diesmal – und denke mir, dass mein Weg zurück zur vorgeburtlichen Fitness definitiv ein anderer sein muss.

 

3 Kommentare zu „Na, fit im Schritt?

  1. Hallo Anja, mir gefällt dein Blog und genau deshalb hab ich dich für den Liebster Award nominiert. Ich hoffe du hast Lust mitzumachen! Alles Wissenswerte dazu und wie das Ganze funktioniert findest du auf meiner Seite. Liebe Grüße!

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